London 2012: „Magic Schorsch“ vs „Hammer Schorsch“

In seinen wenigen Tagen Freizeit besuchte Georg Grozer junior seinen Vater in Moers. Die Ähnlichkeit ist nicht nur auf dem Spielfeld frappierend.

Etwas ältere Semester, die Georg Grozer 2012 auf den Ball dreschen sehen, fühlen sich unweigerlich zurück versetzt: Ca. 20 Jahre ist es her, da klopfte ebenfalls ein Georg Grozer, der Vater, die Gegner windelweich. Bewegungsablauf, Technik, Härte und mehr ähneln sich dabei frappierend. Einer, der beide Grozers lange begleitet hat und dies auch heute noch tut, ist Jürgen Sabarz. Er versucht einen Vergleich.

Doch wer war der Bessere? Ich traf Georg Grozer erstmals im Jahre 1988 in Torhout. Nach einem Spiel saß er etwas frustriert in der Kabine, weil er wieder mal für schwache Kameraden die Kastanien aus dem Feuer geholt hatte – wie schon so oft. Ein „Freund“ von mir unterbreitete ein Angebot aus Moers – und das zog: in der Saison 88/89 absolvierte Grozer sen. seine erste Spielzeit in Moers und holte schon 1990 den CEV Europapokal an den Niederrhein - der erste für den DVV und den DSVB überhaupt. Ich durfte Grozer sen. über 5 atemberaubende Jahre (Europapokal, Deutsche Meisterschaft, Pokal, Trainerentlassungen) beim Moerser SC erleben. Im Jahre 2003 tauchte der Junior in Moers auf. Auch ihn durfte ich über 5 Jahre begleiten – teilweise mit seinem Vater als Trainer. Kein Wunder, dass sich ein Vergleich aufdrängt ... und damit die Frage: wer ist der bessere, wer der stärkere? Bei näherem Hinschauen eine schwer zu beantwortende Frage.

„Magic Schorsch“ vs „Hammer Schorsch“

Also versuchen wir eine kleine Zeitreise mit den Grozers – entweder zurück in die Zukunft oder nach vorn in die Vergangenheit. Viele Volleyballfans haben beide erlebt und werden sich ihr eigenes Urteil bilden. Besonders interessant wäre es, wenn sie zeitgleich gegeneinander spielen könnten ...

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Foto Jürgen Sabarz: In Moers spielte der Junior einst unter dem Senior.

Die zum Teil abenteuerliche Vergangenheit von Grozer sen. mit Flucht vor dem Kommunismus und dessen Funktionären, dem extravaganten Wechsel von Torhout (BEL) nach Moers und der fast tragischen vor-olympischen Eliminierung durch den damaligen Bundestrainer Prielozny (der damit nicht nur Grozer persönlich, sondern auch die Mannschaft und den deutschen Volleyball um Olympia 1992 brachte) möchte ich hier nicht ausbreiten – ein Buch für sich. Es geht um die sportliche Qualität der beiden Protagonisten.

Der Vergleich: Aufschlag, Angriff und Block
Am Anfang des Spiels steht bekanntlich der Aufschlag – und da halten sich beide Grozers ungefähr an die Richtgeschwindigkeit auf deutschen Autobahnen: beide jagen den Ball mit fast 130 km/h über die Netzkante. Beim Junior durch Messungen in Polen belegt, beim Senior durch Messungen auf der Gegenolympiade in Kuba im Jahre 1984. Als Ex-DVV Präsident Dr. Rolf Andresen Grozer sen. zum ersten Male im Sportzentrum Rheinkamp bei seinen brachialen Verrichtungen sah, dreht er sich ungläubig an die Seite und meinte: „Das gibt es doch gar nicht, unglaublich!“ Es gab es – damals nur in Moers. Die Geschosse des Juniors und des Seniors schlagen entweder auf dem gegnerischen Feld ein oder biegen den Annehmenden oft genug die Arme weg. Der Senior hatte wohl ein wenig mehr Konstanz beim Aufschlag – aber die fünf Knaller hintereinander in der letzten Saison (vom Junior beim polnischen Meister Rzeszow auf YouTube zu bestaunen) waren auch nicht von schlechten Eltern. Es gibt aber immer noch Tage, wo der Junior dann nicht so richtig trifft ... Also ich meine: Daddy zu seiner großen Zeit ein klein wenig besser – wenngleich er das selbst etwas anders sieht.

Im Angriff liegt beim Junior mehr Leichtigkeit und Eleganz – da kommen Peitschenhiebe übers Netz. Wer an den „Mann mit dem Zopf“ denkt, hat mehr die brachiale Gewalt und den immens hohen Abschlag mit gestrecktem Arm in Erinnerung. In seiner Jugend trainierte „Magic Schorsch“ mit einem vom Handgelenk bis zur Schulter hart bandagierten Arm: damit wurde ein vorzeitiges Abknicken von Hand und Arm verhindert, die maximale Amplitude gewährt und damit die immense Rotationsgeschwindigkeit am Ende des Armes. Auch hier die Ausbeute beim Senior etwas höher – auch deshalb, weil er in prekären Situationen auch noch draufdrosch. Hier ist der Junior etwas vorsichtiger, wohl auch, weil in der Nationalmannschaft gelegentlich eine Fehlervermeidungsstrategie verordnet wird. Manchmal scheint mir der Junior etwas beleidigt, wenn er zweimal hintereinander in den Block genagelt hat – Vater Grozer bekam nach einer „Niete“ das Funkeln in den Augen und wurde böse. Generell hat man den Eindruck, dass der „Alte“ mehr Plan beim Angriff hatte, abgezockter reagierte. Beide sind gleichstark beim „Luschen“ – wenn die gegnerische Defensive sich respektvoll nach hinten geschoben hat, streuen beide wirksam kurze Lobs oder Drops ein und sorgen für überstrapazierte Liberos.

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Foto Jürgen Sabarz: "Magic Schorsch" schlägt zu.

Im Block zeigte sich „Magic Schorsch“ eminent stark: Der Senior brachte damals proportional etwas mehr auf die Waage, eine richtige „Kante“ und vom Körperbau her eher ein Schwerathlet und damit in der Regel mit mehr Gewicht als die Gegenspieler. Haltebälle gingen beim Senior fast immer zuungunsten des Gegners aus. Vater´s Gewicht drückte niemand weg – das lag wohl auch an seinem vorhergehenden guten Timing. Der ließ drücken – und schob dann einfach weg. Bemerkenswert aber auch der Block vom Junior – wenn er weit übergreift und mögliche Angriffswinkel für den Angreifer extrem beschneidet. Bei diesem Element beide in etwa gleich effizient – aber Vater Grozer sieht das anders (s.u.).

Wie sieht es mit dem Charakter aus?
Nun geht es im Spiel nicht nur um die motorischen Abläufe – es geht auch um Charakter und Wille. Hier wurde der Smashman von damals aufgrund seiner persönlichen Situation und Sozialisation sowie der damaligen Gesamtkonstellation eher der Schneepflug und die Dampfwalze – durchaus gepaart mit gelegentlichem divahaftem Verhalten. Der Senior sorgte zeitweilig für ein ausgeprägtes Reizklima auf dem Feld, zwischendurch gab´s auch schon mal eine Portion „trash talk“. Manch einer seiner Trainer hätte klug daran getan, sich nicht auf Diskussionen mit ihm einzulassen. Schon immer galt: Entscheidend is auffem Platz – und wer die Punkte für den Sieg macht, verdient etwas mehr Toleranz und Respekt als die anderen. Zumal sich der Senior nie ernsthaft gegen seine jeweilige Mannschaft stellte, wenn sich auch der eine oder andere Mannschaftskamerad gelegentlich einen Anpfiff einhandelte. Schon immer galt: Alle sind gleich – aber einige sind etwas gleicher als andere.

Der Junior überzeugt durch ähnliche Stärken wie sein Vater – ist aber in seinem ablesbaren Sozialverhalten mehr ein Teamplayer. Auch Grozer sen. hatte ein gutes Verhältnis zu seinen Kameraden, die positive Ausstrahlung des Juniors in die aktuelle Mannschaft hinein ist aber doch bemerkenswert. Da bekommt jeder seinen Klaps, jeder seinen Streichler und eine Umarmung – auch wenn es mal nicht so läuft. Immer kürzer sind die Phasen, wo der Junior mal den Kopf hängen lässt, immer länger sind die Strecken, wo er vorangeht, die Jungs motiviert und sich gemeinsam mit den Mannschaftskameraden freut.

So möchte ich „unter dem Strich“ sagen, dass beide sehr eng beieinander liegen: das Boden-Decke-Ritual beim Einschlagen liebten beide – und wenn der Senior mehr Deckenkontakte erzielte, lag es wohl daran, dass es damals noch mehr Sporthallen mit niedrigerer Decke gab. Der „Alte“ in seiner Bestform und zu seiner besten Zeit läge aber wohl doch vorn. Aber der Junior ist sehr nah dran ... und hat das Potential sich noch zu verbessern. Er könnte ein olympischer Held werden – eine Krönung, welche das Schicksal Grozer sen. verwehrte. Vor wenigen Tagen wurde der Junior immerhin schon in den Kreis der FIVB Heroes aufgenommen ...

Liu sagt, der Junior ist besser
Ich befragte den langjährigen Weggefährten des Seniors (vier Jahre gemeinsam im MSC-Team) Chang Cheng Liu und der schlug die Hände über dem Kopf zusammen: „Oh, oh, das ist schwer. Georg war damals ein Phänomen, hat alles abgeräumt – so etwas hatte man in Deutschland noch nicht gesehen. Ich glaube, der junge Georg hat es heute schwerer als der Vater damals. Das Spiel hat sich geändert: wir zählen mit dem Rallye Point System, wir haben den Libero und damit eine bessere Annahme und Abwehr ... wobei sich der Komplex Block/Feldabwehr ohnehin verbessert hat. Schau die lange Blockmitte an – gab´s damals kaum. Oh je, man kann die Uhr zurückstellen, aber nicht die Zeit. Sei mir nicht böse, Georg, ich glaube dein Sohn ist etwas stärker.“

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Foto Jürgen Sabarz: Der "Hammer Schorsch" bei der Olympia-Qualifikation.

Der Bewertung vom „Volleyball vor 20 Jahren“ vom Mannschaftskameraden Liu mag der Senior nicht so ganz folgen: „Heute sind die Mannschaften einfacher lesbar: in der Mitte drohen und schnell nach außen, ab und an ein Pipe (Rückraum Mitte, Anm. d. Red.) – das ist es doch. Damals gab´s jede Menge Kombinationen, das Spiel war variabler und schneller. Die Chinesen und Japaner haben uns schwindelig gespielt – wir waren nur in der Athletik überlegen. Und die Mitte: da waren Leute wie Bas van de Goor (NED), Lucchetta (ITA), Gardini (ITA), van der Horst (NED). Außerdem haben die Spiele viel länger gedauert – da gab´s kaum ein Spiel unter 2 Stunden. Ich glaube nicht, dass es heute schwerer ist.“

Wie vergleicht sich der Senior mit dem Junior? „Ich denke mal, im Angriff liege ich mit kleinen Variationen hier und da mit dem Junior gleichauf. Ich hatte es allerdings sehr oft mit einem Dreierblock zu tun – über einen Doppelblock habe ich mich gefreut. Der Junior bekommt heute auch hinten oft etwas schnellere Bälle - und hat dadurch Vorteile. Im Bereich Aufschlag liegen wir wohl auch gleichauf. Er macht inzwischen Serien – die habe ich auch geschafft. Wichtig für uns beide war und ist, ob wir von Beginn an spielen. Da kommen wir beide eher in unseren Rhythmus. Im Block sehe ich meinen Sohn stärker als mich – er springt aus dem Stand höher, greift weiter über und kann richtig zumachen.“ Und im mentalen Bereich? „Weißt du“, sagt der Senior, „ich musste als 16-jähriger in einer Mannschaft spielen, die einen Altersdurchschnitt von 25 Jahren hatte. Wir bekamen zum ersten Male Geld, jeder wollte spielen. Da musst du eine Maske aufsetzen und ganz hart sein, wenn du überleben willst.“ Kein Wunder, dass die damalige Volleyball-Sozialisation bei „Magic Schorsch“ ihre Spuren hinterlassen hat ...

Für mich steht ziemlich fest: Grozer sen. heute in Bestform bei der Rallye Point Zählweise – er wäre wohl der wertvollere. Schon als Junior lieferte er in einem 5-Satz-Spiel mit Tungsram Budapest in einem Europapokalspiel gegen Ibis Kortrijk (damals mit Frankie Winkler) 126 Angriffe incl. Aufschläge ab ... und machte nur 6 (!) Fehler – in drei Stunden und 5 Minuten Spielzeit. Damals noch mit der traditionellen Zählweise, bei der man nur nach eigenem Aufschlag einen Punkt machen konnte ...

Neues Übel droht den Gegnern...
Und noch etwas steht fest: die Grozer-Story ist noch nicht am Ende: vor wenigen Wochen lieferte sein jüngster Sohn, Tim Grozer, bei den westdeutschen U16-Meisterschaften beim Stand von 2:2 eine Sprungaufschlagserie bis 24:2 ab. „Könnte wirklich was draus werden, meint „Magic Schorsch“ trocken, „so etwas habe ich damals nicht gebracht.“

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Foto ZDF: Die Grozers beim Nintendo: Olympische Sommerspiele in London - Beach-Volleyball...


Steckbriefe

Georg Grozer sen. alias „Magic Schorsch“
Jahrgang1964
Trikotnr. 9
Größe 196 cm
Gewicht 103 kg
Deutscher Staatsbürger seit: 1989
Aktueller Status: 3 Jahre Trainer Moers (zweimal Pokalfinale, immer Play Offs), dieses Jahr Aufstieg in die Bundesliga mit Wuppertal

Georg Grozer jun. alias „Hammer Schorsch
Jahrgang 1984
Trikotnr. 9
Größe: 200 cm
Gewicht: 102 kg
Deutscher Staatsbürger seit: 2007
Aktueller Status: Nationalspieler, Polnischer Meister mit Rzeszow, nächste Saison Belgorod/RUS

TV-Tipp: In dieser Woche plant das ZDF im "Heute Journal" eine Story mit den Grozers als "Aussteiger-Stück".

(Jürgen Sabarz)

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