Hier fliegt alles

Foto Dirk Westphal Foto Dirk Westphal Liebe Fans, in meinem neuen Blog berichte ich Euch über ein ganz besonderes Auswärtsspiel, wie ich es so noch nicht erlebt habe und das mich kurzerhand sogar zum Raucher werden ließ.

Es ist mal wieder an der Zeit für ein Auswärtsspiel. Dieses Mal verschlägt es uns nach Gonbad in der Provinz Golestan im Nordwesten des Landes. Von der Flora und Fauna unterscheidet sich dieser Teil erheblich vom Rest Irans. In dieser überwiegend von Turkmenen bewohnten Region ist es verhältnismäßig grün, was eine ganz nette Abwechslung zu den ganzen Stein- und Geröllwüsten rund um Tabriz ist. Leider ist die Region auch eine der Ärmsten in Iran, was daran liegt, dass in Gonbad hauptsächlich Sunniten leben. Im schiitisch dominierten Iran werden diese Regionen leider häufig von der Regierung nicht so unterstützt, wie es die anderen Teile des Landes erleben.

Deshalb ist Sport umso wichtiger für die Leute und ganz besonders der Volleyball. Diese Stadt lebt für den Volleyball. Bei der Fahrt vom Hotel zur Halle sieht man immer wieder Menschen auf Schotterplätzen Volleyball spielen. Hier spielt man es aber ein bisschen anders. 3 gegen 3 und nur ein Kontakt. Der Ball gleicht eher einem Lederfetzen als einem Volleyball, aber die Leute haben sichtlich Spaß und sind auch sehr emotional bei der Sache.

In der Halle erwartet uns ein richtiger Hexenkessel. Da in Iran die Leute für Sportveranstaltungen keinen Eintritt zahlen müssen, kommt auch die ganze Stadt zu jedem Heimspiel. Auch die Stimmung ist am Kochen. Als wir die Halle betreten, entgegnet uns ein schrilles Pfeifkonzert. Zwar ist es im Islam verboten, böse Worte zu sagen und böse Handzeichen zu geben, aber dennoch begegnet mir der Stinkefinger sehr häufig an diesem Tag. Auch ein liebevolles „F**k you“, was die Zuschauer speziell für uns Ausländer gelernt haben, wird uns sehr häufig zugerufen. Sehr lautstark wird auch die Heimmannschaft begrüßt, die zwar Letzter ist und abgeschlagen keine Chance mehr auf den Klassenerhalt hat, aber die Unterstützung der Fans ist ungebrochen. 

Das Spiel beginnt und es wird schnell klar, dass das heute kein Spaziergang für uns wird. Zwar sind wir spielerisch klar besser, aber die Jungs aus Gonbad spielen so, als ginge es um ihr Leben. Als unser Mittelblocker zum Aufschlag geht, sehe ich wie ein kleiner roter Punkt in seinem Gesicht kreist, und ich versuche, den Übeltäter im Publikum auszumachen. Schnell erblicke ich einen kleinen Jungen mit einem Laserpointer. Ich gehe zum Schiedsrichter und zeige provokativ auf den Jungen, der in einem Anflug von Panik hektisch versucht, den Laserpointer in seiner Tasche verschwinden zu lassen. „Spießer“, wird sich jetzt wohl der ein oder andere Leser denken - und anscheinend denkt sich das auch der Schiedsrichter - und wimmelt mich mit einem Kopfnicken ab. Als das gleiche Spiel beim 24:24 wieder passiert und unser Spieler danach den Aufschlag verschlägt, versuche ich es noch mal beim 1. Offiziellen. Daraufhin schickt er einen Polizisten auf die Tribüne, und dieser entwendet dem Jungen den Laserpointer.

Wahrscheinlich habe ich mir mit dieser Aktion keine Freunde gemacht. Immer wieder treffen mich in der Folge kleine Pappmaschee-Kügelchen am Hinterkopf. Besonders in den Auszeiten, wo die Distanz zwischen mir und den Zuschauern nicht alle zu groß ist, bin ich ein gern gesehenes Opfer dieser kleinen Attacken. Ich versuche, besonnen zu bleiben, um die Stimmung nicht weiter zu provozieren. In der nächsten Auszeit fliegt uns eine Salve von Sonnenblumenkernschalen ins Gesicht. Diesmal trifft es zum Glück nur meine Mitspieler. ;-)

Der „Höhepunkt“ dieses Spiels findet dann im 4. Satz statt, als plötzlich unser Zuspiel zu Boden sinkt. Es herrscht eine allgemeine Verunsicherung, bis wir schließlich die Ursache finden. Eine 5000 Rial-Münze, welche vergleichbar mit der Größe und dem Gewicht einer 2 Euro-Münze ist, traf unseren Kapitän am Hals. Ich muss ehrlich gestehen, dass man deshalb vielleicht nicht ganz so theatralisch zu Boden gehen muss, aber die Summe der Geschehnisse lässt es vielleicht ein bisschen verständlicher erscheinen. Der Schiedsrichter bricht daraufhin die Partie ab, und wir flüchten unter wütenden Protesten der Zuschauer in die Kabine. Der Supervisor rennt uns, bedingt durch sein Alter, humpelnd hinterher und fordert uns auf, doch weiter zu spielen.

Es folgt eine einstündige Debatte in unserer Kabine. Immer wieder versucht uns der Supervisor dazu zu ermutigen, wieder zu spielen. Mittlerweile wird die Halle geleert, und so steht fest, dass heute kein Ball mehr über das Netz geschlagen wird. Naja, auch nicht so schlimm.

Als wir dann aus der Halle gehen und in unser Taxi steigen, wartet auf der anderen Seite natürlich der wütende Mob auf uns. Leider müssen wir durch die Menge fahren, und so erleben wir, wie sehr rabiat auf das Dach des Autos geschlagen wird und unsere Frontscheibe bespuckt wird. Einige „Fans“ versuchen noch, neben uns herzulaufen, um uns die letzten „warmen“ Worte mit auf unsere Heimreise zu geben, aber der Taxifahrer drückt zum Glück gut aufs Gaspedal.

Ich bin eigentlich strikter Nichtraucher, aber auf den Schrecken zündet mein Mannschaftskollege mir eine Zigarette mit an. Ich nehme einen Zug und denke mir im Stillen: „Nur gut, dass wir hier nicht nochmal hin müssen.“

Funfact: Für alle, die mal in einem besonderen Moment den Klugscheißer raushängen lassen wollen. Ich musste mich vor kurzem belehren lassen, dass der Iran keinen Artikel hat, so wie ich es gerade bewusst falsch geschrieben habe. Im alltäglichen Sprachgebrauch wird fälschlicher Weise Iran (hier jetzt richtig gemacht) oft mit dem Artikel „der“ benutzt. Dies ist grammatikalisch nicht richtig. Richtig wäre „Iran hat keine guten Straßen“ und nicht „Der Iran hat keine guten Straßen“. Des Weiteren heißt es Richtig „In Iran gibt es viel Wüste.“ und nicht „Im Iran …“ Ich bitte hiermit um Entschuldigung, falls ich diesen Fehler in einer der vorherigen Folgen gemacht habe, aber ich wusste es einfach nicht besser. ;-)

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