Bundestrainer Jan Lindenmair im Interview

Foto Sandra Arm: Bundestrainer Jan Lindenmair bei der EM in Györ. Foto Sandra Arm: Bundestrainer Jan Lindenmair bei der EM in Györ. Die ersten drei Spiele bei der U19-Europameisterschaft sind absolviert. Die deutsche Auswahl liegt auf dem vierten Tabellenplatz. Den Kampf um die ersten beiden Gruppenplätze, die zur Teilnahme am Halbfinale berechtigen, kann sie aus eigener Kraft nur noch mit viel Glück erreichen. Das Team muss hoffen und auch selbst seine Aufgaben erfüllen. Vor den abschließenden Gruppenspielen gegen Italien (31. August/20.30 Uhr) und Weißrussland (1. September/20.30 Uhr) sprachen wir mit Bundestrainer Jan Lindenmair.

Herr Lindenmair, nach drei Spielen steht die Mannschaft auf dem vierten Tabellenplatz der Vorrundengruppe zwei. Wie fällt Ihr Zwischenfazit aus?
Auf der einen Seite zeigen wir eine ansprechende Leistung und auch einen extrem großen Kampfgeist, aber auf der anderen Seiten bleiben die erhofften Ergebnisse aus.

Wo sehen Sie die Ursachen?
Wir machen einfach immer noch zu viele Eigenfehler. Vor allem in den vermeintlich kleinen Dingen wie Bälle in der Abwehr erlaufen, wie Präzision in der Abwehr oder wie das Stören des Gegners. Das ist sicherlich das größte Problem. Das haben wir eigentlich schon vor einem halben oder dreiviertel Jahr erkannt, entsprechend drei, vier größere Baustellen mit der Mannschaft für die Vorbereitungsphase ausgemacht, wo wir uns verbessern müssen. Das ist uns in manchen Elementen sehr gut gelungen. Allen voran im Angriff von den hohen Bällen. Ich finde, da sind wir sogar völlig pari-pari mit Nationen wie Russland, die einfach auch eine ganz andere körperliche Qualität im Vergleich zu unserer Mannschaft mitbringt.

Nach den beiden Niederlagen gegen Russland (0:3) und Serbien (2:3) sagten Sie, dass beide Teams die leichten Situationen auf dem Feld cooler gelöst haben. Sind wir zu brav?
Das ist eine schwierige Frage. Ich kann in diesem Moment nur für diese Gruppe eine Aussage treffen, ich kann es jetzt nicht generell sagen. Es hat sicher etwas damit zu tun, dass sie einerseits alles extrem gut machen wollen und letzten Endes über das Ziel hinausschießen. Und sich dazu einen zu hohen Druck auferlegen. Eigentlich in Situationen, in denen wir schon alles gut gemacht haben. Wenn es zu dieser Situation kommt, haben wir eigentlich schon eine gute Vorarbeit geleistet, und die lösen wir nicht klug beziehungsweise cool genug. Das hat teilweise sicher etwas mit Basisskills im technischen Bereich zu tun.

Wie baut man eine Mannschaft nach zwei Niederlagen wieder auf?
Gespräche führen. Letztendlich ist das der einzige Schlüssel, wenn man Gespräche führt, auf die Athleten eingeht, ihnen zuhört und dann ein neues Teilziel ausgibt. Das ist uns bisher gut gelungen. Ich finde, dass sich die Leistung in den vergangenen drei Partien kontinuierlich gesteigert hat – und das trotz der Niederlagen.
Die Einstellung der Athleten ist gut, eine Grundmotivation ist schon vorhanden – man sieht das Brennen in den Augen. Die Mädchen wollen gewinnen. Es ist so, dass sie sich nicht aufgeben. Die Mannschaft ist in dieser Sache schon besonders. Von daher ist es für uns gar nicht so schwierig, sie neu zu motivieren. Es ist natürlich auch so, dass sie teilweise sehr traurig sind, aber wir bekommen sie auch immer wieder dazu, sich neu zu motivieren und da anzuknüpfen, wo wir aufgehört haben.

Was wurde als neues Teilziel ausgegeben?
Das nächste Teilziel ist der nächste Gegner. Das ist immer gleich. Wir haben uns natürlich etwas vorgenommen für die EM. Wir wollten den Abstand zu den Topteams verringern. Wenn man ganz nüchtern draufschaut, dann ist uns das nicht wirklich gelungen. Zumindest was das Ergebnis anbelangt. Es gibt zwar noch eine kleine Hoffnung, aber dazu müssten wir die nächsten zwei Spiele deutlich gewinnen. Das wird in Anbetracht der Leistung von Italien nicht leicht.
Dennoch bereiten wir uns akribisch vor. Meine Co-Trainer haben in der Nacht alles schon vorbereitet, es gibt Videobesprechungen und Training am Abend in der Halle. Wir werden das alles ganz normal so weitermachen und versuchen gegen Italien einen Erfolg einzufahren.

Zumal gegen Italien noch eine Rechnung offen ist?
Ja, wir haben in der ersten Qualifikationsrunde ein sehr gutes Spiel gegen Italien abgeliefert und sehr knapp verloren (Anmerk. 1:3). Das war natürlich sehr unglücklich. So haben wir noch eine Rechnung offen und wollen gern zeigen, dass wir das gleiche Level besitzen und vielleicht sogar dieses Mal gewinnen können.

Aktuell liegt Italien auf Platz drei und wird sicherlich heiß sein, den zweiten Tabellenplatz mit einem Sieg zu übernehmen.
Wir haben sicherlich im Moment die schlechteste Ausgangslage. Aber Serbien und Italien sind beide noch nicht durch. Sie müssen noch große Spiele bestreiten. Italien trifft morgen auf uns, so dass wir da noch ein Wörtchen mitsprechen können. Natürlich wird Italien genauso heiß sein wie wir. Die wollen die Partie ebenfalls gewinnen.

Welche Spielerin/innen konnte Sie bisher am meisten überzeugen?
Das ist eine Frage, die man als Trainer immer ungern beantwortet. Schaut man sich die drei Spiele rückwirkend an, dann gab es Spielerinnen, die phasenweise sehr gute Leistungen abgerufen haben und andere, die weggebrochen sind. Beides trifft im Grunde auf alle Spielerinnen zu. Ich würde da niemanden besonders hervorheben.
Womit ich sehr zufrieden bin, ist die Art und Weise wie unsere Wechselspieler auf das Feld kommen. Immer wenn sie reinkommen, rechtfertigen sie ihre Einwechslung, in dem sie in diesem Moment die Mannschaft stärker machen. Da bin ich sehr froh darüber. Das betrifft auch jene Spielerinnen, die begonnen haben, dann ausgewechselt und wieder zurückgekommen sind. In diesen Situationen ging immer wieder ein positiver Ruck durch. Diese Wechsel, das machen sie mental sehr stark, weil die Athleten immer mit großer Motivation auf das Feld kommen und in den Momenten eine echte Bereicherung sind.

Wie viel von ihrem Leistungspotenzial hat Ihre Mannschaft im bisherigen Verlauf des Turniers abgerufen?
Um ehrlich zu sein, nicht die ganzen 100 Prozent. Woran das liegt? Das ist sicher zum Teil mit in meiner Verantwortung. Wir sind in gewissen Elementen sicher nah dran an dem, was wir können. Der Aufschlag war in den vergangenen zwei Spielen sehr stark. Ebenso wie der Angriff über die Außenpositionen. Vielleicht sind wir da am Optimum von dem, was wir momentan erwarten können. Die Annahme und die Abwehr sind sicher nicht das, was wir uns vorgestellt haben. Ausreichend ist das Blockspiel, wo es sicher noch ein bisschen Luft nach oben gäbe.

In welchen Elementen kann und muss Ihr Team mit Blick auf die zwei kommenden Aufgaben gegen Italien und Weißrussland noch zulegen?
Auf jeden Fall in der Abwehr und der Annahme. Das sind sicherlich die beiden Elemente, in denen wir einfach stabiler werden müssen. Im Spiel gegen die Serben konnte man sehen, dass wir immer in den Phasen, in denen wir in den zwei Elementen stabil waren, mitspielen beziehungsweise die Sätze gewinnen konnten. Und immer wenn wir dort wackeln, dann reicht es eben nicht.

Sie spielen morgen erstmals am späten Abend. Wie bereiten Sie die Mannschaft darauf vor?
Wir trainieren heute relativ spät und haben den ganzen Tag etwas nach hinten geschoben. So haben wir beispielsweise zwei Stunden später gefrühstückt. Deswegen kam uns der freie Tag für den krassen Rhythmuswechsel von der vorigen Spielzeit von 15.30 Uhr auf nun 20.30 Uhr eigentlich sehr entgegen.

Welche positiven Faktoren nehmen Sie mit in die letzten beiden Spiele?
Der größte Faktor, den die Mannschaft ausmacht, ist diese Art und Weise nie aufzugeben. Das ist sicherlich das, was einen als Trainer zuversichtlich stimmt, das noch was möglich ist. Ich glaube, dass wir verstehen, dass die Mannschaft sehr schnell lernen und umsetzen kann, was noch nicht funktioniert. Wir wissen auch, dass wir auf zwei starke Teams treffen werden.

Der morgige Gegner heißt Italien, er ist U18-Weltmeister. Auf was wird es ankommen, um möglicherweise für eine Überraschung zu sorgen?
Ganz sicher darauf, wie wir Aufschlag und Annahme spielen. Und wie es Italien umsetzt. Das wird sicher spielentscheidend sein, weil sowohl wir als auch Italien immer in den gleichen Elementen wie die Annahme sehr geschwächelt haben. Deswegen sind sich die Teams dort sehr ähnlich. So wird morgen darüber entscheiden, wer diese Bälle besser auf dem Feld kontrolliert.

 

Der deutsche EM-Kader: Pia Kästner, Sophie Dreblow, Sindy Lenz (SC Potsdam/VCO Berlin), Vanessa Agbortabi (Volley Team Berlin/VCO Berlin), , Merle Weidt (VC Offenburg/VCO Berlin), Gina Köppen, Luise Klein, Sabrina Krause (Schweriner SC/VCO Schwerin), Elisa Lohmann (VC Parchim/VCO Schwerin), Camilla Weitzel (Dresdner SC/VCO Dresden), Hanna Orthmann (SC Union Lüdinghausen/USC Münster), Pia Leweling (GW Paderborn/USC Münster)

Bundestrainer Jan Lindenmair
Co-Trainer Benedikt Frank
Co-Trainer Bart Jan van der Mark
Physiotherapeutin Katrin Lagg
Scout Andreas Renneberg
Journalist Sandra Arm

(Sandra Arm)

Der Vorrundenspielplan des DVV-Teams

Datum Uhrzeit Team A Team B Ergebnis
27.08. 19.00 Uhr Deutschland Ungarn 3:1 (25-21, 25-23, 21-25, 25-18)
28.08. 19.00 Uhr Deutschland Russland 0:3 (24-26, 21-25, 21-25)
29.08. 19.00 Uhr Deutschland Serbien 2:3 (19-25, 25-21, 11-25, 30-28, 7-15)
31.08. 20.30 Uhr Deutschland Italien
01.09. 20.30 Uhr Deutschland Weißrussland
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